eGFR-Referenzwerte
Mit zunehmendem Alter verschlechtert sich die Nierenfunktion natürlicherweise – jedoch war es bisher schwierig, genau festzulegen, welche Werte in welchem Alter als normal gelten und wann eine pathologische Verschlechterung beginnt. Dies lag am Fehlen populationsbasierter eGFR-Referenzwerte.
Die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) wird üblicherweise als Maß für die Nierenfunktion herangezogen, meist in Form eines Schätzwertes (eGFR). Dieser wird entweder auf Basis von Serum-Kreatinin (eGFRKrea), Cystatin C (eGFRcys) oder einer Kombination aus beiden Parametern (eGFRKrea-Cys) berechnet.
Um Referenzwerte der Nierenfunktion für Deutschland zu ermitteln, analysierte ein Forscherteam die Daten von vier populationsbasierten Kohorten: KORA-3, KORA-4, AugUR und DIACORE. Insgesamt flossen die Daten von über 12.000 Personen im Alter von 25 bis 95 Jahren und mehr als 26.000 eGFR-Bestimmungen in die Analyse ein. Untersucht wurden dabei die eGFRKrea und eGFRCys in drei verschiedenen Personengruppen:
– Allgemeinbevölkerung
– Gesunde“ Personen
– Personen mit Diabetes
Zusätzlich stellten die Forschenden altersabhängige Referenzwerte für Gesunde und Personen mit Diabetes bereit und analysierten den Einfluss der Risikofaktoren Gewicht, Diabetes und Albuminurie auf die Nierenfunktion.
Definition der drei Personengruppen
Zur Allgemeinbevölkerung zählten alle Teilnehmenden von KORA-3, KORA-4 und AugUR. In der Gruppe der Gesunden wurden jene Teilnehmenden ausgeschlossen, die eine der folgenden Bedingungen erfüllten:
– Diabetes
– Herz-Kreislauf-Erkrankungen
– Blutdruck ≥ 140/90 mmHg
– Albuminurie, definiert durch ein Urin-Albumin-zu-Kreatinin-Verhältnis (UACR) ≥ 30 mg/g
Für die Gruppe der Personen mit Diabetes wurden alle Teilnehmenden berücksichtigt, die an Diabetes litten (einschließlich der Teilnehmenden von DIACORE).
Altersabhängige Referenzwerte für die eGFR
Die Analyse der Daten ergab, dass das Alter den größten Einfluss auf die eGFRKrea und eGFRCys hatte, während das Geschlecht nur eine geringe Rolle spielte. Mit zunehmendem Alter verschlechterte sich die Nierenfunktion in nahezu linearer Weise, und bereits bei vergleichsweise jungen Personen (25–39 Jahre) zeigte sich ein Rückgang. Bei älteren Personen waren die Mittelwerte der eGFRCys niedriger als die der eGFRKrea.
Die Forschenden legten außerdem altersabhängige eGFRKrea- und eGFRKrea-Cys-Referenzwerte für die gesunde Bevölkerung und Personen mit Diabetes fest, die im klinischen Alltag eine wichtige Rolle spielen.
Referenzwerte für den eGFR-Abbau
Zusätzlich bestimmten die Forschenden Referenzwerte für den zu erwartenden Rückgang der eGFRKrea und eGFRCys, abhängig von den folgenden drei Risikofaktoren:
– Gewicht (Normalgewicht, Übergewicht oder Adipositas)
– Diabetes
– Albuminurie (Mikro- oder Makroalbuminurie)
Die Tatsache, dass die Nierenfunktion auch bei gesunden Menschen mit dem Alter abnimmt, hat zu der Frage geführt, ob die bisherige, altersunabhängige Definition der chronischen Nierenerkrankung (CKD), bei der eine eGFR < 60 ml/min/1,73 m² als Maßstab dient, überarbeitet werden sollte. Die Forschenden untersuchten, welchen Einfluss altersabhängige eGFR-Grenzwerte auf den Anteil der Personen mit CKD hätten. Wurde die konventionelle Definition für CKD verwendet (UACR ≥ 30 mg/g oder eGFR < 60 ml/min/1,73 m²), stieg der Anteil der Personen mit CKD im Alter deutlich an. Bei Menschen über 70 Jahren fiel etwa ein Drittel der CKD-Diagnosen auf Basis der eGFR. Wurden jedoch altersangepasste Grenzwerte verwendet, verringerte sich der Anteil der älteren Personen mit CKD deutlich, wie die nachfolgende Tabelle zeigt:
Altersgruppe
Anteil mit CKD (alterunabhängige Grenzwerte) Anteil mit CKD (alterabhängige Grenzwerte)
30-40 Jahre 4% 6%
40-50 Jahre 4% 5%
50-60 Jahre 7% 7%
60-70 Jahre 14% 11%
70-80 Jahre 30% 21%
< 80 Jahre 48% 30%
Einschränkungen der Studie
Eine der Einschränkungen dieser Analyse ist, dass sie auf Daten populationsbasierter Kohorten beruht. Personen, die an solchen Studien teilnehmen, sind oft gesünder, mobiler und zeigen ein größeres Interesse an ihrer Gesundheit als die Allgemeinbevölkerung. Menschen mit schwerer Nierenerkrankung oder solchen, die bereits eine Nierenersatztherapie erhalten, wurden von der Studie ausgeschlossen. Daher könnten die durchschnittlichen eGFR-Werte für die Allgemeinbevölkerung und für Menschen mit Diabetes überschätzt worden sein. Außerdem ist die Definition von „gesund“ in dieser Studie diskutabel, da, auch wenn relevante Faktoren berücksichtigt wurden, andere Definitionen möglich wären.
Schlussfolgerungen
Die neu veröffentlichten altersabhängigen Referenzwerte für die eGFR bei gesunden Personen sowie die Werte für den jährlichen eGFR-Abfall in Verbindung mit verschiedenen Risikofaktoren sind ein wertvoller Beitrag zur Bewertung der Nierenfunktion. Diese Referenzwerte ermöglichen es, den jährlichen Rückgang der eGFR sowohl in der Allgemeinbevölkerung als auch in Hochrisikogruppen vorherzusagen. Die Ergebnisse stützen auch den Bedarf nach einer altersangepassten Definition der chronischen Nierenerkrankung (CKD), wobei jedoch weitere Untersuchungen erforderlich sind, um den Nutzen solcher altersabhängiger Grenzwerte genau zu bestimmen.